Als Kind fuhr ich mit meinen Eltern jedes Jahr ins Wallis in die Skiferien. Ein für mich kribbeliges Highlight war jeweils die Durchquerung des Lötschbergtunnels im Autoverlad. Nach der Einfahrt in den Tunnel sah ich von der hinteren Sitzreihe aus zuerst nur noch die Umrisse der Nackenstütze meines Vaters. Mich überkam als Kind ein beklemmendes Gefühl. Ich hatte einen trockenen Mund, auch wenn mir meine Eltern gut zuredeten. Das Auto wackelte und ich hörte das regelmässige Geräusch der Zugräder beim Überqueren der Schienenübergänge. Nach einer mir unendlich lange erscheinenden Fahrt waren dann endlich erste Lichtzeichen erkennbar. Der Tunnelausgang kam näher! Hoffnung und Erleichterung stellten sich ein beim Verlassen der Tunnelröhre. Egal ob die Sonne schien oder ob es schneite, endlich draussen waren wir wie Maulwürfe geblendet und liessen die Walliser Winterluft hinein. Ich spürte die Euphorie, wieder im Tageslicht zu sein und diesem dunklen Tunnel schadlos entkommen zu sein.
Orientierungslos im Tunnel
Während der Pandemie haben sich viele Menschen wie in einem Tunnel gefühlt. Orientierungslos, fremdbestimmt und verletzlich. Emotional erging es während den Lockdowns den meisten wohl so wir mir damals als Junge im Tunnel. Der Begriff „Tunnelblick“ bringt genau dies auf den Punkt. Angst und negative Emotionen steuern im Tunnel unbewusst unsere Wahrnehmung. Sensorische Eindrücke verursachen Stress im Gehirn. Wir spüren das Schütteln im Zug mehr als sonst. Jedes ungewöhnliche Geräusch nährt negative, angstgetriebene Gedanken. Nüchtern oder analytisch betrachtet ist dies gar nicht notwendig. Es fehlt einfach das Licht. Aber unser zentrales Nervensystem feuert schneller und stärker als unser Verstand. Besonders unter Stress.
Zurück im Sonnenlicht
Jetzt wo die Pandemie-Infektionszahlen nach unten zeigen, kommen Freiheit und Sonnenlicht zurück in unser Leben. Wir sitzen wieder in Restaurants und können mit Freunden Zeit verbringen. Daran müssen wir uns erst wieder gewöhnen! Vor der Pandemie war der Begriff „VUCA-Welt“ (Volatility/Uncertainty/Complexity/Ambiguity) in vieler Munde. Die damals spürbare Volatilität, Unsicherheit und Komplexität infolge Digitalisierung und Globalisierung hat sich im „Pandemie-Tunnel“ noch verstärkt. Ebenso die Ambiguität bzw. die Erkenntnis, dass Informationen mehrdeutig sind. Jetzt, nach dem Tunnel, prägt die durch das Erlebte noch verstärkte VUCA-Welt unsere Wahrnehmung. Wir sind noch digitaler unterwegs. Wir konsumieren noch mehr Informationen, und die sind noch mehr als früher auch hier und da manipulativ verzerrt. Viele drehen noch schneller im Hamsterrad, rennen von virtuellem Meeting zu virtuellem Meeting. Ganz nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ gilt es, Verpasstes nachzuholen, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Moments of change
Denken wir mit etwas Abstand zurück an die Gefühle im Tunnel, so sind genau genommen auch positive Seiten der Tunnelfahrt wahrnehmbar: In der Analogie der Tunnelfahrt waren die Lichtblicke kurz vor dem Tunnelende der Moment auf Change. Der Moment, in dem die Wahrnehmung von „Gefahr“ auf „Hoffnung“ kippte. In der aktuellen Zeit am Schluss der Corona-Lockdowns befinden wir uns in einem kollektiven Moment auf Change. Vielleicht können wir durch die Erlebnisse im Corona-Tunnel anders mit dieser Unsicherheit und der komplexen Welt umgehen, indem wir auch vermehrt auf uns und auf das Positive schauen. Fragen wie „Was war dein schönstes Erlebnis während des Lockdowns?“ zielen in diese Richtung.
Die Aufwärtsspirale ankurbeln
Selbstempathie und „Self Care“ helfen im Tunnel, Informationen zu relativieren und uns auf unsere Stärken und Fähigkeiten zu besinnen. Im Blogbeitrag Self Care für Leadership bei Unsicherheit habe ich aufgezeigt, dass Self Care die Basis ist, um mit Mitarbeitenden „caring“ umgehen zu können und ein verunsichertes System zu stabilisieren. Aus der positiven Psychologie wissen wir, dass „Wellness Behavior“ wie gesund Essen, Sport treiben und genügend Schlafen eine positive Aufwärtsspirale auslösen kann. Dankbarkeit und die Reflexion über unsere Stärken kurbeln die Aufwärtsbewegung des Gemüts weiter an, was nachweislich zu besserer Performance führt.
Überlege dir darum in einem ruhigen Moment:
- Wie kann ich in der neuen Realität „caring“ mit mir selbst umgehen?
- Wie komme ich in meine positive Aufwärtsspirale?
- Wie kann ich anderen Lichtblicke vermitteln?